Pressemitteilung
- Im Premiumsegment ist das Interesse an Elektroautos bereits höher als an reinen Verbrennern, im Volumenmarkt dominiert dagegen noch Zurückhaltung
- Premiumhändler können Unentschlossene in nahezu zwei von drei Fällen vom E-Antrieb überzeugen, im Volumenmarkt liegt diese Quote erst bei 13 Prozent
- Hohe Preise, begrenzte Reichweiten und Sorge vor unzureichender Ladeinfrastruktur zählen derzeit zu den größten Verkaufshemmnissen – vor allem im Volumenmarkt
- Autohändler erwarten, dass chinesische Hersteller bis 2030 rund 12 Prozent Marktanteil an den Neuzulassungen in Deutschland erreichen
- Gleichzeitig sind sie optimistisch, dass deutsche und europäische Hersteller langfristig überlegene Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten werden
Die Mobilitätswende im Automobilsektor nimmt Fahrt auf. Laut Bain-Prognosen könnte der Anteil batteriegetriebener Fahrzeuge und Plug-in-Hybride an den Neuzulassungen in Deutschland bis 2030 von derzeit rund einem Viertel auf über 50 Prozent steigen – im optimistischsten Szenario sogar auf rund 75 Prozent. Wesentlich getrieben wird diese Entwicklung vom Wandel in der Einstellung privater Käuferinnen und Käufer. So berichten inzwischen 42 Prozent der Autohäuser in Deutschland von einem hohen Interesse an reinen Elektrofahrzeugen. Das hat eine Befragung von rund 250 Händlern gängiger Fabrikate im Premium- und Volumensegment ergeben, die von der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company durchgeführt wurde.
Durchbruch für E-Autos zuerst im Premiumsegment
„Der Automobilmarkt steht in Deutschland an einem Wendepunkt. Die Aussichten sind vielversprechend, dass sich Elektroantriebe in den kommenden Jahren auch bei privaten Kundinnen und Kunden durchsetzen“, erklärt Bain-Partner Dr. Eric Zayer, der die Praxisgruppe Automotive & Mobilität in der EMEA-Region leitet.
Den Anfang macht dabei vor allem das Premiumsegment. 56 Prozent der Händler in diesem Bereich berichten bereits heute von einem hohen Interesse an Elektrofahrzeugen – im Volumenmarkt ist dieser Anteil nur halb so groß. Die Nachfrage nach E-Limousinen übersteigt inzwischen jene an allen anderen Antriebsarten. „Viele Premiumhersteller unterschätzen derzeit noch die Offenheit ihrer Kundschaft für Elektroantriebe“, beobachtet Zayer. Dabei lohnt sich Überzeugungsarbeit, wie ein weiteres Befragungsergebnis unterstreicht. Händler von Premiummarken sehen sich in nahezu zwei von drei Fällen in der Lage, anfangs unentschiedene Kundinnen und Kunden für ein E-Auto zu gewinnen – im Volumenmarkt liegt dieser Wert lediglich bei 13 Prozent.
Gleichzeitig unterschätzen Hersteller von Volumenmarken die Zurückhaltung ihrer Kernklientel, die in puncto Elektrofahrzeuge deutlich skeptischer eingestellt ist. Zum einen übersteigen die heutigen Preisaufschläge vieler Modelle die Zahlungsfähigkeit ihrer Kundinnen und Kunden – zum anderen haben diese nur selten die Möglichkeit, zu Hause zu laden. Hier sind die Hersteller gefordert, mehr kostengünstige Produkte anzubieten und umfangreicher über deren Vorzüge zu informieren. Zudem liegt es an der öffentlichen Hand, Lademöglichkeiten auch in städtischen Gebieten wie beispielsweise in Garagen von Mehrfamilienhäusern oder auf Parkplätzen von Arbeitgebern zu fördern. Dr. Ingo Stein, Practice Director Automotive & Mobilität bei Bain, ist überzeugt: „Eine Elektrifizierung ohne das Volumensegment und die Käuferschaft aus der Mitte der Gesellschaft wird nicht gelingen. Hier sind mehr Anstrengungen vonseiten der Hersteller und der Politik gefragt.“
Elektrofahrzeuge punkten mit moderner Ausstattung und gutem Handling
Die Entscheidung für ein Elektroauto wird dabei weniger durch ökologische Argumente beeinflusst, sondern insbesondere durch das Fahrzeugerlebnis selbst. Händler berichten, dass gerade der Wunsch nach einem modernen Auto mit zeitgemäßem Infotainment sowie das agile Handling und die beeindruckende Beschleunigung batteriegetriebener Pkw ausschlaggebend sind. „Das beste Argument für ein Elektroauto ist eine Probefahrt“, resümiert Mariia Nykytiuk, Associate Partner bei Bain und Branchenkennerin. Sie empfiehlt Herstellern wie Händlern, dieses Angebot noch konsequenter auszubauen und durch gezielte Aktionen aktiver zu bewerben.
Reichweite moderner E-Fahrzeuge wird oft unterschätzt
Die Bain-Befragung deckt zudem auf, welche Faktoren die Deutschen derzeit noch vom Kauf eines batteriegetriebenen Fahrzeugs abhalten. Neben dem Preis, auf den im Massenmarkt knapp 70 Prozent der Händler verweisen, folgen Bedenken zur Reichweite sowie zu mangelnden Lademöglichkeiten. Branchenexperte Stein zieht daraus eine klare Handlungsempfehlung: „Viele Kundinnen und Kunden haben ein überholtes Bild von der Reichweite moderner Elektroautos – diese hat sich in den letzten Jahren bei zahlreichen Modellen tatsächlich signifikant verbessert. Entsprechende Informationslücken kann die Branche mit transparenten und leicht zugänglichen Fakten schließen.“
Deutsche Hersteller müssen jedoch darauf achten, neuen Anbietern aus dem Ausland nicht das Feld zu überlassen. Denn nach Einschätzung von fast 90 Prozent der befragten Automobilhändler seien deren E-Modelle mittlerweile mindestens gleichwertig oder in manchen Punkten sogar überlegen. Sie verweisen besonders auf die attraktiven Preise, die teils hohe Reichweite sowie das umfassende Infotainment- und Konnektivitätsangebot. Vor diesem Hintergrund halten die Händler bis 2030 einen Marktanteil chinesischer Fahrzeuge an den Neuzulassungen in Deutschland von rund 12 Prozent für realistisch – aktuell liegt er bei rund 2 bis 3 Prozent. Hiesige Hersteller tun also gut daran, ihre Kundschaft schnell und intensiv selbst über neue Produktvorteile zu informieren – sonst laufen sie Gefahr, Marktanteile an aggressive Wettbewerber zu verlieren.
Dünnes Händler- und Werkstattnetz hemmt Expansion chinesischer Hersteller
Momentan bremsen der Befragung zufolge noch das dünne Händler- und Werkstattnetz sowie das geringere Markenprestige das Vordringen chinesischer Marken. Hinzu kommen die Importzölle in der EU. Bain-Partner Zayer empfiehlt, sich angesichts des wachsenden Wettbewerbs auf die traditionellen Stärken zu besinnen: „Gerade die deutschen Hersteller verfügen über eine enorme Markenbekanntheit, hohe Emotionalität und vor allem ein dichtes Netz an exzellenten Vertriebs- und Werkstattpartnern. Mit diesen Vorteilen können und sollten sie noch deutlich offensiver umgehen und alles daran setzen, ihre Kundinnen und Kunden im Handel optimal zu bedienen. Diese Vorteile gilt es weiter auszubauen.“
Zu den zentralen Handlungsempfehlungen auf Basis der aktuellen Bain-Befragung zählt daher ein enger Schulterschluss mit dem Handel. Ergänzend werden sollte dies durch eine gezielte Vertriebsoffensive – sowie breit angelegte Informationskampagnen im Sinne echter „Customer Education“, um Missverständnisse und Unsicherheiten etwa bei Reichweite und Ladeinfrastruktur auszuräumen. Ebenso wichtig ist es, das Modellportfolio hin zu preisgünstigeren Fahrzeugen zu erweitern. Im Volumenmarkt sehen 40 Prozent der Händler die Chance, mit wettbewerbsfähigeren Modellen den Absatz von Elektrofahrzeugen deutlich zu steigern. Und schließlich braucht es auch eine engere Verzahnung mit der Politik, um wirksame Hebel in Kraft zu setzen – nicht allein über Neuwagenprämien, sondern auch durch Heimladen in Mietshäusern, geförderte Ladeangebote bei Arbeitgebern, günstige Stromtarife oder eine Gebrauchtwagenförderung.
Längere Übergangsperiode für die Mobilitätswende einkalkulieren
Dennoch müssen sich die Hersteller auf eine längere Übergangsphase einstellen. Entsprechend sind sie angehalten, weiterhin Brückentechnologien wie Plug-in-Hybride und sogenannte Range Extender anzubieten. Langfristig stehen die Zeichen jedoch auf Elektrifizierung: „Die E-Modell-Offensive der deutschen Hersteller kommt zur richtigen Zeit. Immer mehr Kundinnen und Kunden sind bereit, den Umstieg zu wagen“, so Branchenbeobachter Zayer. „Gemeinsam mit dem Handel können die Autobauer dieses Potenzial ausschöpfen und ihre starke Marktposition auch in der Zukunft sichern.“