Pressemitteilung

Globale Biodiversitätskrise: Deutsche Unternehmen stehen noch am Anfang
  • Mehr als die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft von zunehmendem Verlust der Biodiversität bedroht
  • Deutsche Wirtschaft beeinflusst vor allem aufgrund internationaler Lieferketten Biodiversität unseres Planeten
  • Die an der Studie beteiligten deutschen Unternehmen erkennen diese Verantwortung an, einige haben erste Initiativen ergriffen
  • Mit WWF-Framework können Unternehmen ihr Nachhaltigkeitsengagement systematisieren und unter anderem entlang der Wertschöpfungsketten Beiträge zum Erhalt der Artenvielfalt leisten

Weltweit haben die Bestände der im WWF-Living-Planet-Report untersuchten Arten seit 1970 durchschnittlich um 69 Prozent abgenommen. Ungefähr eine Million Arten sind heute vom Aussterben bedroht, in Deutschland gelten 33 Prozent der Wirbeltiere sowie 31 Prozent der Pflanzen als gefährdet. Dies bedroht nicht nur die Grundlagen unseres Wohlstands, sondern unsere Lebensgrundlage insgesamt, da etwa die Lebensmittelproduktion von Bestäubung und guter Bodenqualität abhängt. Mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts, rund 44 Billionen US-Dollar, hängt von einer intakten Natur ab.

Der WWF Deutschland und die internationale Unternehmensberatung Bain & Company haben vor diesem Hintergrund erstmals untersucht, wie das Thema Biodiversität bei deutschen Unternehmen verankert ist, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche Zukunftschancen sich daraus ergeben. Im Rahmen ihrer Studie „Preserving Biodiversity: A Call to Action for German Businesses“ wurden dafür unter anderem Interviews mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern von mehr als 20 großen Firmen geführt.

Verlust der Biodiversität zählt zu den größten Risiken für die Weltwirtschaft

„Derzeit konzentrieren sich die meisten Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit auf Initiativen zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen“, erklärt Bain-Partner Karl Strempel. „Dabei müssten sie sich mit der gleichen Tatkraft dem Erhalt der Biodiversität widmen.“ Zumal beide Themen auf vielfältige Weise miteinander verknüpft sind: Das veränderte Klima bedroht eine Vielzahl von Arten, der Verlust an Biodiversität und hier allen voran die Abholzung von Wäldern beschleunigt die globale Erwärmung. Nach Einschätzung des World Economic Forum (WEF) zählt vor diesem Hintergrund der Verlust der Artenvielfalt und, damit verbunden, der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme mittlerweile zu den größten Risiken für die Weltwirtschaft. „Die Zeit zu handeln ist gekommen“, erklärt Strempel. „Deutsche Unternehmen sollten hier eine Vorreiterrolle übernehmen.“

Der entscheidende Einfluss der Lieferketten auf den Erhalt der Artenvielfalt

Die Studie zeigt unter anderem auf, welche wichtigen deutschen Industriezweige in welchen Bereichen – ob in der Lieferkette, den eigenen Aktivitäten oder in nachgelagerten Schritten – die globale Biodiversität beeinflussen. In vielen Fällen gefährden weniger der eigene Betrieb, sondern meist vorgelagerte Wertschöpfungsstufen die Artenvielfalt. „Die exportorientierte deutsche Wirtschaft trägt beim Schutz und Erhalt der Biodiversität eine globale Verantwortung“, betont Heike Vesper, Geschäftsleitung Transformation Politik und Wirtschaft beim WWF Deutschland. „Deutsche Unternehmen müssen ihr unternehmerisches Handeln mit den planetaren Belastungsgrenzen und den gesellschaftlichen Nachhaltigkeitszielen in Einklang bringen – das erfordert Strategieanpassungen, Arbeit in den Wertschöpfungsketten, Engagement in politischen Prozessen sowie Investition in die Wiederherstellung der Natur. Ein umfangreiches Engagement des Privatsektors ist für den Erhalt der Biodiversität und die Bekämpfung der Klimakrise unerlässlich.“

Die an der Studie beteiligten deutschen Unternehmen erkennen diese Verantwortung an, einige haben erste Initiativen ergriffen. Sie wollen damit in zunehmendem Maße Risiken reduzieren, die sich beispielsweise aus dem Zusammenbruch sogenannter Ökosystemdienstleistungen, einer verschärften Regulierung oder dem Verlust von Reputation ergeben. Mittel- und langfristig können sich Vorreiter beim Schutz der Artenvielfalt auch handfeste Vorteile am Markt erarbeiten. Diese resultieren unter anderem aus einer steigenden Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und einer günstigeren Finanzierung.

Wie Firmen ihr Engagement in puncto Biodiversität systematisieren können

Es gibt erprobte Methodiken, die Unternehmen bei der Planung, Umsetzung und Skalierung effektiver Maßnahmen im Bereich Biodiversität unterstützen. Ein Beispiel ist das „WWF One Planet Business Framework for Biodiversity Stewardship“ – eine praxisnahe Handlungsanleitung, die fünf Stufen umfasst:

  1. Assess. Im ersten Schritt wird die gesamte Wertschöpfungskette analysiert, um die Zusammenhänge zwischen den eigenen Aktivitäten und der Umwelt besser zu verstehen.
  2. Embed. Die im Bewertungsprozess gewonnenen Erkenntnisse fließen danach in die Firmenstrategie ein.
  3. Implement. Auf Basis der weiterentwickelten Strategie passen Unternehmen Prozesse an, verändern Inhalte und Verpackungen von Produkten und optimieren ihr Geschäftsmodell beispielsweise in Richtung Kreislaufwirtschaft.
  4. Advocate. Im Dialog mit wichtigen Stakeholdern können Vorreiter nicht nur über Fortschritte berichten, sondern sich auch für eine systematische Transformation über Branchen und Lieferketten hinweg einsetzen.
  5. Achieve. Im Ergebnis dient eine konsequente Umsetzung nicht nur dem Erhalt der Artenvielfalt. Sie trägt auch zur Zukunftssicherung von Unternehmen bei.

Bain-Partner Strempel verweist auf die Vorteile eines solch systematisierten Vorgehens. „Wir befinden uns mitten in einer neuen Ära der Nachhaltigkeit. In ihr entwickelt sich der Erhalt der Artenvielfalt ebenso wie das frühzeitige Erreichen ambitionierter Klimaziele zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen quer durch alle Branchen.“

Über die Studie

Die Studie „Preserving Biodiversity: A Call to Action for German Businesses“ basiert auf externen und internen Analysen und Einschätzungen sowie Interviews mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern von mehr als 20 großen deutschen Unternehmen. Das Autorenteam von Bain & Company und dem WWF Deutschland wertete unter anderem Studien von FAO, IPBES, IPCC, UN und WEF aus. Darüber hinaus wurde eine Reihe nationaler Datenbanken genutzt. Auf dieser Basis konnte erstmals eine Einschätzung vorgenommen werden, wie das Thema Biodiversität bei deutschen Unternehmen verankert ist, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche Hindernisse und Zukunftschancen sie identifiziert haben. Auf dieser Grundlage hat das Autorenteam Handlungsempfehlungen abgeleitet.