Pressemitteilung
- Innovative Technologien können Effizienz in der Fertigung um mehr als 30 Prozent erhöhen und Entwicklungszeiten um mehr als 40 Prozent senken
- Gerade der flächendeckende Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) wird weitere Potenziale freisetzen
- Über 80 Prozent der Branchenverantwortlichen beschäftigen sich mit Ansätzen zu einer fabriklosen Zukunft
- Hersteller nutzen neue Technologien öfter als Zulieferer, nordamerikanische Anbieter sind stärker von ihren Chancen überzeugt und sehen größere Kostenpotenziale als Europäer
Das wellenhafte Wachstum der Elektromobilität, der Eintritt neuer Wettbewerber in die globalen Märkte und die steigende Bedeutung von Software haben – zusammen mit einem veränderten Käuferverhalten und stagnierender Nachfrage – die Grundlagen der Automobilbranche in den Industrieländern erschüttert. Dies hat zu einem hohen Kosten- und Leistungsdruck geführt. Doch nun zeichnet sich zunehmend ab, wie etablierte Fahrzeughersteller und -zulieferer zu neuer Stärke gelangen können. Im Zentrum steht der technologiegetriebene Wandel entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Analyse der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company, in deren Rahmen rund 300 Führungskräfte europäischer und nordamerikanischer Anbieter befragt wurden.
„Der konsequente und kombinierte Einsatz von innovativen Technologien wie Automatisierung, künstlicher Intelligenz und Robotik bietet der Automobilbranche eine Chance, wie sie sich für jede Generation nur einmal ergibt“, erklärt Bain-Partner Dr. Eric Zayer, der die Praxisgruppe Automotive und Mobilität in der EMEA-Region leitet. Er zieht Parallelen zur Phase der Öffnung des chinesischen Markts: „Wenn Hersteller und Zulieferer jetzt schnell die neuen technologischen Chancen nutzen und ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle grundlegend anpassen, können sie zu alter Stärke zurückfinden.“
Branche denkt über fabriklose Zukunft nach
Bislang scheuen viele der traditionellen Automobilhersteller und -zulieferer noch tiefgreifende Schritte. Doch in den Köpfen hat der Wandel bereits begonnen: So setzen sich insgesamt 84 Prozent der von Bain weltweit Befragten mit der Perspektive einer sogenannten fabriklosen Zukunft auseinander – orientiert am Vorbild der ausgelagerten Fertigung, wie sie etwa in der Halbleiterbranche vielerorts üblich ist. In Europa liegt dieser Anteil sogar bei 94 Prozent. Bain-Partner und Branchenkenner Björn Noack fordert vor diesem Hintergrund die Branche auf, trotz möglicher Widerstände ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln: „Jeder Fahrzeugersteller und -zulieferer braucht eine klare Vorstellung, wie er sich künftig vom Wettbewerb abgrenzt – das kann von einer modernen Fertigung über ein überlegenes Design bis hin zur Strahlkraft der Marke reichen.“
Wie groß der Handlungsdruck inzwischen ist, zeigt der weltweite Rückgang der EBIT-Marge der Automobilhersteller auf durchschnittlich 6,8 Prozent 2024. Die Zulieferer lagen mit 6,6 Prozent nur geringfügig darunter. Herausfordernd ist die Situation vor allem an den westeuropäischen Standorten: Ihr Kostennachteil gegenüber Werken in Osteuropa und China beträgt mittlerweile 20 bis 30 Prozent – und das nicht allein aufgrund gleichermaßen höherer Löhne der Arbeitskräfte in administrativen und produzierenden Bereichen. Besonders deutlich wird das laut der Bain-Analyse in einem Bereich: Bei der Entwicklung von Plattformen für Elektroautos summiert sich der Kostennachteil europäischer Hersteller gegenüber neuen Wettbewerbern aus den USA und China sogar auf 75 bis 85 Prozent.
Entwicklungszeiten für neue Modelle lassen sich spürbar verringern
Diese Lücke lässt sich nur schließen, wenn sowohl die etablierten Hersteller als auch ihre Zulieferer ihre Digitalisierung und Automatisierung noch einmal erheblich forcieren. Welche Potenziale darin liegen, zeigen weitere Ergebnisse der Bain-Analyse: Nach Einschätzung der Befragten kann ein technologiegetriebener Umbau der Fertigung die Effizienz bereits in den kommenden fünf Jahren um mehr als 30 Prozent steigern. Zudem könnte eine technologiebasierte Zusammenarbeit mit Zulieferern die Entwicklungszeiten für neue Modelle um mehr als 40 Prozent auf rund 30 Monate verkürzen.
Bis 2035 dürfte gerade der flächendeckende KI-Einsatz die Effizienz in der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen und Komponenten weiter steigern. „Insbesondere nicht- oder wenig wertschöpfende, aber zeitintensive Tätigkeiten wie beispielsweise die Software-Coding-Dokumentation lassen sich mithilfe von KI um bis zu 80 Prozent reduzieren“, erklärt Bain-Partner und Automobilexperte Dominik Foucar. „Dies spart sowohl Zeit und Kosten und erhöht gleichzeitig die Qualität gegenüber Kunden.“ Mehr als 80 Prozent der Befragten gehen zudem davon aus, dass KI-gestützte Simulationen dann eine dynamische Echtzeitanpassung der Fertigung ermöglichen werden. Zwei Drittel erwarten zudem, dass humanoide Roboter im kommenden Jahrzehnt die Produktion weitgehend übernehmen.
Amerikanische Anbieter fokussieren stärker auf Kosteneinsparungen
Bislang agieren europäische und nordamerikanische Unternehmen beim Einsatz von Technologien entlang der automobilen Wertschöpfungskette auf Augenhöhe – das Potenzial ist allgemein erkannt. Während nordamerikanische Hersteller jedoch bereits daran arbeiten, daraus konkrete Kostenvorteile zu realisieren, zeigen sich die Europäer zurückhaltender. So planen Autobauer in Nordamerika etwa im administrativen Bereich innerhalb der nächsten drei Jahre Einsparungen von bis zu 12 Prozent bei den Arbeitskosten – ihre Pendants in Europa verfolgen dieses Ziel bislang weit weniger entschlossen.
Niclas Vieten, Senior Manager bei Bain und Automobilexperte, rät europäischen Herstellern und Zulieferern zu mehr Entschlossenheit. Effizienzpotenziale müssten nicht nur identifiziert, sondern auch umgesetzt werden. „Wer zu lange zögert, riskiert den Anschluss zu verlieren“, so Vieten. Zugleich sieht er in der aktuellen Entwicklung in erster Linie eine Chance für den Standort Europa: „Technologiegetriebene Effizienzsteigerungen können die Kostenstrukturen gezielt verbessern – und sichern so die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der industriellen Wertschöpfung in Europa.“
Unzureichende Datenqualität gefährdet Effizienzgewinne
Der Bain-Befragung zufolge treiben die Automobilhersteller die Einführung moderner Technologien derzeit konsequenter voran als ihre Zulieferer. Nordamerikanische Unternehmen zeigen sich darüber hinaus deutlich überzeugter von den Chancen des technologiegetriebenen Wandels als ihre Wettbewerber aus Europa, die unter anderem in puncto Datenmanagement Hürden sehen. Diese Zurückhaltung – kombiniert mit einer bislang unzureichenden Datenqualität – gefährdet nach Einschätzung von Bain-Partner Noack die angestrebten Effizienzgewinne: „Angesichts der aktuellen Herausforderungen reichen inkrementelle Verbesserungen nicht mehr aus. Die Zukunft der Automobilbranche ist digital – und für diesen Wandel braucht es einen großen Wurf.“
Die Bain-Analyse skizziert in Form einer Roadmap, welche Schritte Unternehmen gehen sollten, um sich zu technologiegetriebenen Fahrzeugherstellern oder -zulieferern zu entwickeln. Der Prozess startet mit der Entwicklung eines zukunftsfähigen Geschäftsmodells und einer klaren Vision für den unternehmensweiten Einsatz innovativer Technologien. Erste Anwendungen setzen Hersteller wie Zulieferer in Leuchtturmprojekten um, bevor sie die Lösungen standortübergreifend ausrollen. Voraussetzung dafür sind ein klares Zielbild für die künftige Betriebsstruktur sowie eine standardisierte, skalierbare Datenplattform.
Digitale Produktion ist Zwischenschritt auf dem Weg zur autonomen Fertigung
Laut Branchenkenner Zayer stehen selbst die Vorzeigestandorte der Automobilbranche gerade erst am Übergang von Lean-Konzepten hin zur digitalen Fabrik. Bis zu einer autonomen Fertigung unter Einsatz von KI und humanoider Roboter sei es noch ein weiter Weg. Dennoch ist Zayer optimistisch: „Die etablierte Automobilbranche verfügt über die Kompetenzen, die finanziellen Ressourcen und den Willen, den technologiegetriebenen Wandel aus eigener Kraft zu meistern – und sich im entstehenden Zeitalter der Elektromobilität erfolgreich zu behaupten.“ Sie müsse dafür nun entschlossen handeln, ausreichend investieren und bereit sein, auch schwierige Schritte zu meistern.