Pressemitteilung
- Weltweit überdenkt die Mehrheit der Beschäftigten ihre Work-Life-Balance
- In Deutschland sind ein interessantes Tätigkeitsfeld, eine sichere Anstellung sowie flexible Arbeitszeiten fast ebenso wichtig wie ein Top-Gehalt
- Nach der Pandemie möchten hierzulande 35 Prozent gar nicht oder nur selten im Homeoffice arbeiten – deutlich mehr als im weltweiten Schnitt
- In den westlichen Industrienationen machen sich viele der unter 35-Jährigen Sorgen um Finanzen, Jobsicherheit und Karriereziele
- Mit zunehmender Digitalisierung kommt dem Faktor Mensch wieder mehr Bedeutung zu
Ein ausgewogenes Verhältnis von Berufs- und Privatleben ist im Zuge der Corona-Krise verstärkt in den Fokus von Arbeitskräften gerückt. Zugleich gibt ein hohes Gehalt nicht unweigerlich den Ausschlag dafür, einen Job anzunehmen. Dies sind Ergebnisse der Studie „The Working Future: More Human, Not Less“ von Bain & Company, für die die internationale Unternehmensberatung gemeinsam mit dem Marktforschungsspezialisten Dynata insgesamt 20.000 Beschäftigte in Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Nigeria sowie den USA befragt hat. Hinzu kamen mehr als 100 Experteninterviews.
Tatsächlich wollen sich 58 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an der Studie teilgenommen haben, aufgrund der Pandemie intensiv Gedanken über ihre Work-Life-Balance machen. Nur für 20 Prozent ist eine gute Bezahlung das entscheidende Jobkriterium. Immer wichtiger werden vielmehr eine interessante Tätigkeit, eine sichere Anstellung sowie flexible Arbeitszeiten. Das gilt insbesondere für Befragte in Deutschland, die diesen Faktoren inzwischen fast die gleiche Bedeutung beimessen wie einem Top-Gehalt. Letzteres wiederum steht in den USA und Japan nach wie vor an erster Stelle. In Frankreich rangiert hingegen die interessante Tätigkeit ganz oben.
Sinnhaftigkeit und Struktur der Arbeit neu denken
„Die Arbeitswelt entwickelt sich stetig weiter. Doch die Veränderungen, die die Pandemie vielerorts ausgelöst hat, hatten sich schon lange zuvor angebahnt“, erklärt Bain-Deutschlandchef Walter Sinn. „Für die Unternehmen heißt es nun, Sinnhaftigkeit und Struktur der Arbeit radikal neu zu denken. Nur so bleiben sie für Talente attraktiv und setzen sich im angespannten Fachkräftemarkt durch.“ Dafür gelte es, die Bedürfnisse und Arbeitseinstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kennen und besser zu verstehen.
Im Rahmen der Studie hat Bain fünf Schlüsselthemen identifiziert, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen müssen, wollen sie im Wettbewerb auch künftig ganz vorne mit dabei sein. Im Einzelnen sind dies:
1. Einstellung zur Arbeit verändert sich. In den wohlhabenden Ländern sind die Erwartungen an eine Beschäftigung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Der Arbeitsplatz hat sich zunehmend zu einer wichtigen Quelle sozialer Bindungen entwickelt. Vor allem jüngere Generationen suchen Sinn und Erfüllung immer häufiger in ihrem Job. Parallel hat sich das Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Einkommen seit der Industrialisierung umgekehrt. So arbeiten in den USA die 10 Prozent, die am besten verdienen, heute mit durchschnittlich 42 Wochenstunden am längsten. Viel beschäftigt zu sein, ist in dieser Gruppe inzwischen zu einem Statussymbol geworden. Mit im Schnitt 34,4 Stunden fällt heute die Arbeitszeit des Dezils mit dem niedrigsten Gehalt im Vergleich zu früher deutlich kürzer aus. Ein Grund dafür ist jedoch, dass oft nicht die gewünschte stabile Vollzeitbeschäftigung gefunden wird. In Deutschland sind daher 89 Prozent der Befragten mit Top-Verdienst, aber nur 60 Prozent mit geringem Einkommen mit ihrem Job zufrieden.
2. Es gibt mehr als einen Beschäftigtentyp. Angesichts der Veränderungen in Bezug auf die Arbeitseinstellung haben althergebrachte Klassifizierungen von Jobs ausgedient. Aus Sicht von Bain gibt es nunmehr sechs Archetypen mit unterschiedlichen Prioritäten: pragmatische Anwenderinnen und Anwender, empathische Teamworker, autonome Spezialisten und Spezialistinnen, flexible Experimentierfreudige, ehrgeizige Aufsteigerinnen und Aufsteiger sowie mutige Pioniere und Pionierinnen. Letztere zeichnet beispielsweise die höchste Risikobereitschaft aus und machen in den USA rund 25 Prozent der Führungskräfte aus, während Aufsteigerinnen und Aufsteiger besonders geld- und statusorientiert sind.
3. Automatisierung führt zu anspruchsvolleren Aufgaben. Dank des technischen Fortschritts werden Routinetätigkeiten zunehmend von Maschinen übernommen. Vor diesem Hintergrund gewinnen Fähigkeiten wie Kreativität, Problemlösungsexpertise oder soziale Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bedeutung. Insbesondere in den westlichen Industrieländern sind solche Qualitäten künftig wieder stärker gefragt, beispielsweise in der Gesundheitsbranche. Dies macht zum Teil jedoch eine umfassende Umschulung und Weiterbildung der Belegschaft erforderlich.
4. Physische Anwesenheit im Unternehmen ist nicht länger das Maß aller Dinge. Die Pandemie und flexiblere Arbeitsmärkte haben dazu geführt, dass mehr Menschen im Homeoffice tätig sind. In der Folge verschwimmen die Grenzen zwischen Beruf und Privatem. Laut Bain-Studie betrachtet fast die Hälfte aller Befragten ihre Kolleginnen und Kollegen als Freunde. Zugleich fehlt vielen Mitarbeitenden der direkte Umgang mit ihrem Team. In Deutschland möchten nach der Pandemie 35 Prozent gar nicht oder nur selten von zu Hause aus arbeiten – deutlich mehr als im weltweiten Schnitt. Dagegen wollen 20 Prozent künftig dauerhaft im Homeoffice bleiben, 45 Prozent bevorzugen hybride Modelle.
5. Jüngere Beschäftigte geraten zunehmend unter Stress. Bereits vor der Corona-Krise haben viele der jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter wachsendem psychischen Stress gelitten. In den westlichen Industrienationen sorgen sich derzeit laut Bain-Studie 61 Prozent der unter 35-Jährigen um ihre finanzielle Situation, Jobsicherheit und die eigenen Karriereziele, bei den Älteren sind es nur 40 Prozent. Zudem rechnen immer weniger junge Menschen damit, später einmal mehr zu verdienen als ihre Eltern.
Versteckte Potenziale der Belegschaft erkennen und nutzen
Insgesamt bedeuten diese Studienergebnisse, dass Unternehmen sich vom „Talente-Sucher“ zum „Talente-Entwickler“ wandeln müssen. Führungskräfte sollten stärker in die Weiterbildung ihrer Angestellten investieren, vielfältigere Karrierewege ermöglichen und Wachstumsdenken fördern. Dies gilt speziell für etablierte Unternehmen, die dem Fachkräftemangel nichts entgegensetzen, während sich ihre Wettbewerber längst mit den versteckten Potenzialen ihrer Belegschaft befassen und diese systematisch nutzen.
„Angesichts der unterschiedlichen Bedürfnisse der Beschäftigten muss das Topmanagement einen regelrechten Spagat meistern. Denn gerade in diesen Zeiten gilt es, das vertraute Arbeitsumfeld und die Unternehmenskultur auch ohne die physische Anwesenheit von Teilen der Belegschaft aufrechtzuerhalten“, betont Bain-Partner Sinn. „Die Gewinner von morgen müssen sich daher noch intensiver auf den Faktor Mensch konzentrieren.“