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Auf einen Blick
- Nur ein Viertel der Kfz-Vertragsabschlüsse und -änderungen erfolgt digital – deutlich weniger als im internationalen Vergleich
- Deutsche Versicherer zögern weiterhin bei der Umstellung ihrer Prozesse auf digitale Optionen – trotz der absehbaren Kosten- und Effizienzvorteile
- In drei von vier Servicekategorien erzielen digitale Angebote bei Kundinnen und Kunden höhere Zufriedenheitswerte als analoge Kanäle
Fast scheint es so, als ob Deutschlands Automobilversicherer weiterhin mit angezogener Handbremse in die Zukunft steuern. Im zweiten Quartal 2025 wurden in Deutschland lediglich 25 Prozent aller Neuverträge und Vertragsänderungen im Bereich Kfz-Versicherung digital abgeschlossen oder bearbeitet. Das hat die aktuelle NPS Prism®-Erhebung von Bain & Company unter hierzulande rund 15.000 Kundinnen und Kunden ergeben. Zum Vergleich: In den USA liegt dieser Anteil bei 45 Prozent, in Großbritannien sogar bei 53 Prozent.
In weiteren Bereichen der Kundeninteraktion zeigt sich hierzulande ebenfalls ein spürbarer Rückstand – wenn auch weniger stark ausgeprägt. So erfolgt die Schadensbearbeitung bei deutschen Automobilversicherern derzeit zu 26 Prozent digital. In den USA hingegen liegt dieser Wert bei 33 Prozent, in Großbritannien bei 34 Prozent.
Deutsche Anbieter verpassen Kosten- und Effizienzpotenziale
Allein diese Zahlen verdeutlichen: Die deutschen Automobilversicherer zögern nach wie vor bei der Umstellung ihrer Prozesse auf digitale Optionen. Dabei würde eine konsequente Digitalisierung enorme Kosten- und Effizienzvorteile bieten. Etwa 40 bis 50 Prozent der Kfz-Episoden, die über digitale Kanäle abgewickelt werden, erledigen Kundinnen und Kunden unmittelbar. Über menschliche Kanäle sind es hingegen nur rund 30 bis 40 Prozent. Gerade bei einfachen Anliegen sind digitale Lösungen daher inzwischen unverzichtbar.
Doch selbst bei entsprechenden Themen, wie etwa der Vertragsverwaltung und der digitalen Bereitstellung von Informationen, bleiben Anbieter hierzulande hinter dem internationalen Wettbewerb zurück. Über 50 Prozent der Befragten geben an, dass sie lieber mit einem Menschen sprechen möchten. Rund 10 bis 15 Prozent nennen als Grund, dass die digitale Option nicht verfügbar war, wenn sie gefragt werden, warum sie ihr Anliegen analog erledigt haben. Die Potenziale digitaler Lösungen werden in diesen Bereichen bislang zu wenig ausgeschöpft – insbesondere im Vergleich zu den deutlich fortschrittlicheren Angeboten in den USA und Großbritannien.
Fortschritte sind allmählich erkennbar
Immerhin zeigt die Bain-Erhebung im deutschen Markt im Zeitverlauf auch einige positive Entwicklungen. So stieg der digitale Anteil an Neuverträgen und Vertragsänderungen von 23 Prozent im dritten und vierten Quartal 2022 auf 25 Prozent im zweiten Quartal 2025. Deutlich dynamischer verlief die Entwicklung bei der digitalen Schadensbearbeitung: Hier legte der Anteil im gleichen Zeitraum von 18 auf 26 Prozent zu.
In weiteren Teilsegmenten der Kundenkommunikation sind ebenfalls Fortschritte erkennbar. Bei der Vertragsverwaltung erhöhte sich der Digitalisierungsgrad von 47 auf 53 Prozent, bei der Informationsabfrage von 27 auf 34 Prozent. Tatsächlich hat das Tempo der Digitalisierung in den vergangenen knapp drei Jahren bei wesentlichen Teilsektoren der Kundenkommunikation angezogen. Doch die Umstellung auf digitale Prozesse erfolgt im Durchschnitt der Branche nach wie vor mit angezogener Handbremse.
Besonders komplexe Anliegen wie die Schadensbearbeitung erfordern aktuell häufig noch menschliche Intervention. Mit dem Aufkommen neuer, empathischerer Technologien könnte sich dies immerhin bald ändern. Hier wird vor allem die Rolle generativer künstlicher Intelligenz (KI) entscheidend sein, da diese zunehmend direkte Kundeninteraktionen ermöglicht und damit auch komplexere Servicefälle digital abbildbar macht.
Die Kundschaft ist bereit – jetzt muss die Branche liefern
Erfreulich aus Sicht der Anbieter: Die Kundenzufriedenheit, die Bain anhand des Net Promoter Score® (NPS®) misst, ist in puncto digitale Angebote vergleichsweise hoch. In drei der vier untersuchten Servicekategorien – Vertragsabschluss und -änderung, Vertragsverwaltung und Informationsabfrage – schneiden digitale Prozesse besser ab als die klassische Kommunikation. Lediglich bei der Schadensbearbeitung bevorzugen viele Kundinnen und Kunden nach wie vor den direkten, persönlichen Kontakt – hier liegen analoge Prozesse im NPS-Vergleich leicht vorn. Schadensepisoden sind oftmals hoch emotionale, nicht routinemäßige Prozesse. Bei den meisten Versicherern geben daher über 60 Prozent der Befragten an, dass sie in solchen Fällen lieber mit einem Menschen sprechen möchten.
Die positiven NPS-Werte zeigen: Die Kundschaft der Automobilversicherer nimmt digitale Prozesse nicht nur an – sie schätzen sie auch. Für Routine-Episoden wie das Bezahlen von Rechnungen oder die Verwaltung von Kontoinformationen, aber auch beim Abschluss von Produkten, bevorzugen Kundinnen und Kunden den digitalen Weg. Dieser wird nicht nur häufiger genutzt, sondern zeigt auch deutlich höhere NPS-Werte. Die Branche sollte diesen Rückenwind also nutzen und den nächsten Schritt in Richtung Digitalisierung wagen – idealerweise unter konsequenter Nutzung neuer Technologien wie generativer KI.