Pressemitteilung

Corona-Krise beschleunigt Wandel im Schweizer Retail-Banking
  • Fast 70 Prozent der Befragten nutzen für Bankkontakte vor allem digitale Kanäle
  • Hausbanken sind durch stille Abwanderung ihrer Kundschaft bedroht, mehr als die Hälfte kauft auch beim Wettbewerb
  • Nachhaltigkeit bietet viele Chancen, doch den ESG-Bestrebungen der eigenen Bank steht nur knapp die Hälfte hierzulande positiv gegenüber
  • Retail-Banken müssen ihren digitalen Vertrieb weiter ausbauen, hybride Beratungs- und Betreuungsmodelle etablieren sowie ihre ESG-Kompetenz erweitern

Bei Transaktionen ist das Retail-Banking schon seit Jahren ein digitales Geschäft. Temporäre Lockdowns und anhaltende Kontaktbeschränkungen beschleunigen den Wandel. In der Schweiz sind inzwischen knapp 70 Prozent „Digital First“-Kundinnen und -Kunden und nutzen mehrheitlich digitale Kanäle für Interaktionen mit ihrer Bank. Dies hat die internationale Unternehmensberatung Bain & Company in ihrer jüngsten Studie zur Kundenloyalität im Retail-Banking in der Schweiz ermittelt. Befragt wurden dafür hierzulande rund 1’900 Kunden und Kundinnen.

Strukturen entschlossen anpassen

„Der digitale Vertrieb wird zum Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg im Retail-Banking“, stellt Bain-Partner und Branchenexperte Dr. Jens Engelhardt fest. „Hybride Beratungs- und Betreuungsmodelle gewinnen immer mehr an Bedeutung.“ Die Kundschaft selbst entscheide, wann, wie und wo sie mit ihrer Bank interagieren wolle. Für die Banken gelte es nun, ihre Strukturen beherzt anzupassen. „Nach jahrelanger digitaler Aufbauarbeit haben Banken durch das veränderte Kundenverhalten jetzt die Chance, ihre Effizienz nachhaltig zu steigern“, so Engelhardt.

Gleichzeitig müssen die digitalen Angebote der Banken den Kundenerwartungen nicht nur jetzt in der Pandemie entsprechen, sondern auch nach der Corona-Krise. Noch besteht hier vielerorts Verbesserungsbedarf. Die mit dem Net Promoter ScoreSM (NPS®) messbare Kundenloyalität stagnierte im Krisenjahr 2020 – und das branchenweit und je Bank. Claudia Kobler, Associate Partner bei Bain und Bankenkennerin warnt: „Wenn die Loyalität zur Hausbank sinkt, wird die Kundschaft offener für alternative Angebote und ist eher bereit, die Bank zu wechseln.“

Ausflüge zur Konkurrenz stoppen

Bislang machten Kundinnen und Kunden selbst in Zeiten von Plattformökonomie und wachsender digitaler Durchdringung nur gelegentliche Ausflüge zur Konkurrenz. Im vergangenen Jahr kauften allerdings 54 Prozent der im Rahmen der Studie Befragten auch beim Wettbewerb – lediglich in Deutschland und Grossbritannien lag der Prozentsatz noch höher (Abbildung).

Als Gründe werden vor allem ein besseres Preis-Leistungsverhältnis, der wesentlich einfachere Kaufprozess oder auch eine komfortablere App des Konkurrenzinstituts genannt. Dabei wurden besonders oft margenträchtige Produkte wie Kredite und Geldanlagen fremdgekauft, was für die Hausbanken besonders schmerzlich ist. „Diese Abwanderung verschärft den Handlungsdruck und gefährdet zunehmend das Geschäftsmodell im traditionellen Retail-Banking“, betont Bain-Partner Engelhardt.

Allerdings sind die Studienteilnehmer keineswegs abgeneigt, ihrer Hausbank eine neue Chance zu geben. Zwei Drittel der Befragten, die auf ein direktes Angebot des Wettbewerbs eingegangen sind, geben an, dass sie das Produkt im Falle einer gleichwertigen Offerte auch bei ihrer Bank gekauft hätten. „Voraussetzung dafür ist jedoch eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur“, erklärt Branchenexpertin Kobler. „Die Hausbanken können die Abwanderung stoppen, wenn ihre Produkte ökonomisch attraktiv sind und sie ihre Kundschaft zudem zum richtigen Zeitpunkt ansprechen.“

Mit mobilem Auftritt überzeugen

Bei den digitalen Kanälen wird dem Mobile-Banking ein immer höherer Stellenwert beigemessen. Seit 2016 kam es in nahezu allen Altersgruppen zu mehr als einer Verdoppelung des Anteils der „Mobile First“-Kundinnen und Kunden auf durchschnittlich knapp 30 Prozent. Im europäischen Vergleich liegt dieser Anteil zwar unverändert auf einem eher niedrigen Niveau, doch der Trend weist eindeutig nach oben. „Wenn Hausbanken ihre Kundinnen und Kunden binden und neue gewinnen wollen, führt an der kontinuierlichen Optimierung ihrer Apps und der dahinterliegenden Prozesse kein Weg vorbei“, so Kobler. „Je überzeugender der mobile Auftritt einer Bank ist, desto weniger befasst sich die Kundschaft mit Alternativen. Und ihre Bereitschaft, schnell und einfach ein weiteres Produkt zu erwerben, wächst ebenfalls.“

Chancen konsequent nutzen

Auch am Thema Nachhaltigkeit führt kein Weg mehr vorbei. So würden 49 Prozent der Studienteilnehmer mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Produkt bei ihrer eigenen Bank kaufen, wenn dieses ESG-konform (Environmental, Social, Governance) agiere. Doch in der Schweiz ist nur knapp die Hälfte bislang der Meinung, dass die eigene Hausbank ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung gerecht werde. „Nur mit einer ganzheitlichen Ausrichtung auf Nachhaltigkeit können Banken ihre Kundschaft überzeugen und so von der wachsenden Nachfrage nach nachhaltigen Kapitalanlagen und Finanzierungen profitieren“, ist Bain-Partner Engelhardt überzeugt.

Ähnlich wie die Digitalisierung wird Nachhaltigkeit das Retail-Geschäft über das Jahr 2021 hinaus prägen und der gebeutelten Branche viele Möglichkeiten eröffnen. „Voraussetzung ist jedoch“, so Engelhardt, „dass die Banken ihre Chancen jetzt konsequent nutzen, entschlossen handeln und – allen voran – ihren digitalen Vertrieb optimieren.“