Brief
Revolution! Kaum ein anderer Begriff passt im ersten Moment so wenig zur stabilitätsorientierten, langfristig agierenden und auch deshalb eher konservativen Versicherungsbranche. Und doch ist er immer häufiger aus dem Mund ihrer Top-Manager zu hören. Revolution? Wie in vielen anderen Branchen entzündet sie sich an den neuen Möglichkeiten digitaler Technologien. Doch das ist nur der Auftakt für eine tief greifende Umwälzung tradierter Geschäftsmodelle. Am Ende werden zum einen Kostenführer und zum anderen Versicherungskonzerne auf der Gewinnerseite stehen, die über Policen hinaus gemeinsam mit anderen Unternehmen ein breites Serviceportfolio anbieten.
Welche Kraft die Servicerevolution entfalten kann, verdeutlicht die Auswertung der Antworten von weltweit 172.000 Versicherungskunden, darunter 15.000 aus Deutschland, die im Rahmen der vorliegenden Bain-Studie befragt wurden. Das entscheidende Ergebnis: Das Gros der Kunden ist an Servicenetzwerken – auch Ökosysteme genannt – rund um Pkw, Eigenheim, Altersvorsorge und Gesundheit interessiert. Dafür würden 30 bis 40 Prozent der Kunden in Deutschland sogar einen Wechsel ihres Versicherers in Erwägung ziehen. Und selbst eine höhere Prämie schreckt nur eine Minderheit.
Mit mehr Services lässt sich also endlich der gordische Knoten des Versicherungsgewerbes zerschlagen. Bislang handelt es sich um ein „Low Touch Business“. Weltweit erwerben Kunden in der Regel nur alle drei bis sechs Jahre eine neue Auto-, Gebäude-, Hausrat-, Kranken- oder Lebensversicherung. Und weniger als die Hälfte interagiert zumindest einmal jährlich mit seinem Anbieter. Die Folge: Der Wettbewerb wird vor allem bei Sachpolicen primär über den Preis ausgetragen, was nun durch das Vordringen der Vergleichsplattformen zusätzlich angeheizt wird. Es kommt zu einer Abwärtsspirale. Je vergleichbarer die Produkte sind, desto größer ist der Preisdruck und desto niedriger sind die Gewinne.
Mit dem Aufbau von Ökosystemen rund um die Bedürfnisse ihrer Kunden können Versicherungsunternehmen dieser Abwärtsspirale entkommen. Mit mehr Services erhöhen sie die Möglichkeiten für Interaktionen und heben sich so vom Wettbewerb ab. Der Preis verliert seine dominante Rolle, und im Gegenzug können neue Ertragsquellen entstehen. Um diese Chancen nutzen zu können, müssen die Versicherer allerdings erst ihre Hausaufgaben machen und die Loyalität ihrer Kundenbasis festigen.